Pipelines, Abwasserkanäle, Stromtrassen, Autobahnen, Glasfaserkabel: Unzählige Leitungen und Wegführungen stellen Verbindungen her – kommunal, national, global; bis hin zu Satelliten in der Erdumlaufbahn. Mit ihnen entstehen Fließräume, durch die sich unablässig Energien, Dinge, Menschen, Ideen und Daten bewegen. Ohne sie wären die Errungenschaften sowie alltäglichen Annehmlichkeiten moderner Gesellschaften undenkbar. Als menschengemachte Zusatznatur dienen sie uns zur Ver- und Entsorgung, zur Mobilität und Kommunikation.
Paradoxerweise bleiben diese Infrastrukturen – trotz, vielleicht auch wegen ihrer Monstrosität und Allgegenwart – meist unterhalb unserer Wahrnehmungsschwelle: „unterhalb“ ist die deutsche Bedeutung von „infra“. Im Untergrund und hinter Fassaden verborgen, sind sie lediglich Gegenstand technokratischer Planung. Diese Unsichtbarkeit ist durchaus strategisch. Hinter der unpolitischen Fassade verbirgt sich die tatsächliche Brisanz. Meist offenbart sich diese, wenn die beschworene Funktionalität und Effizienz stockt.
Wenn der Anschluss nicht klappt oder die Heizung ausfällt, wenn der Verkehr staut, wenn die Kosten steigen, wenn die Lieferketten reißen, vermögen die gerade noch ins gesellschaftlich Unterbewusste verbannten Versorgungssysteme tiefe politische Gefühle der Frustration zu wecken – zum Teil genügt die bloße Angst davor, abgehängt zu werden. Spätestens hier enthüllt sich der mit Infrastrukturen tief verbundene Staats-, Fortschritts- und Wachstumsfetischismus. Ihr Ausbau verspricht Zukunft, birgt aber auch ungeheures Konfliktpotenzial. Ihre Präsenz steht für die Anwesenheit des Staates. Ihr Funktionieren bedeutet gutes Regieren. Ihr Versagen kommt Staatsversagen gleich. Ihre Komplexität macht Gesellschaften verwundbar.
Zur Geogeschichte der Infrastrukturen gehören der Raubbau natürlicher Ressourcen, die Vertreibungen von Menschen, Kolonialismus und Imperialismus. Nach Außen richtet sich infrastrukturelle Gewalt mit Rücksichtlosigkeit, Enteignung, Ausbeutung und Ausschluss. Nach Innen kontrolliert sie die Versorgten mit Abhängigkeiten. Einmal errichtet, werden Infrastrukturen träge. Teuer im Unterhalt sind sie schwerfällig in der Anpassung an Wandlungsprozesse. Sie sind fest verbaute Beharrungskräfte. Doch ihre Funktionen sind keineswegs eindimensional. Sie ermächtigen, bereichern oder korrumpieren nicht nur Politik und Betreibergesellschaften. Ihre Funktionen werden von den Nutzenden zweckentfremdet und unterwandert. Gesellschaftlich können sie sogar verwandelt werden.
Die Ausstellung „über leitungen . infra structures“ widmet sich der zunehmenden gesellschaftlichen Aufmerksamkeit für Infrastrukturen und präsentiert künstlerische Positionen mit dem Blick auf ihre Analyse, aber auch auf Formen ihrer Unterwanderung und Überwindung. Wie gestalten wir Infrastrukturen für eine Zukunft ohne Raubbau an Mensch und Natur?