Im Jahr 2023 veröffentlichte OpenAI, das Unternehmen, das ChatGPT entwickelte, eine Liste menschlicher Berufe, die seiner Meinung nach durch den Aufstieg der künstlichen Intelligenz (KI) gefährdet sind. Ganz oben auf der Liste der bedrohten Berufe standen Dichter:innen. Kann also eine rechnerisch optimierte Methode zur Verkettung von Worten – etwa ein Large Language Model – Gedichte schreiben oder verstehen? Für ein Large Language Model mag das keine Rolle spielen, solange das Ergebnis mit seinen Zielvorgaben übereinstimmt. Als soziale und weltumspannende Technologien mit transformativen Auswirkungen haben Large Language Modelle bereits begonnen, ihre Ergebnisse absichtlich oder versehentlich mit von Menschen geschaffener Kunst oder Literatur zu verschmelzen.
Dichter:innen und Drehbuchautor:innen betonen oft ein Verständnis von Poetik aus der Situation heraus, als körperliche Erfahrung. Doch künstliche Intelligenz weist woanders hin. Aber wo genau? Der Aufstieg der KI in der Kunst wirft – mit neuer Dringlichkeit – viel ältere Fragen zu Erfahrung, Kreativität, Urheberschaft und letztendlich zur Sprache selbst auf. Aber KI beantwortet diese Fragen anders als die Fragenden einst bezweckten. Es geht um etwas anderes, das mehr mit Mathematik als mit Worten zu tun hat. Wie könnte KI die Zukunft des Schreibens beeinflussen?
Die Veranstaltung „Is Language Wordless“ umfasste Vorträge und Lesungen von Asia Bazdyrieva (Wissenschaftlerin & Autorin), Yevgenia Belorusets (Künstlerin & Autorin), Maxime Garcia Diaz (Lyrikerin), Eugene Ostashevsky (Dichter & Übersetzer) und des Kunstkollektivs Metahaven. Ihre Arbeiten überschneiden sich in den Bereichen materieller Kultur, Technologie, Politik und Übersetzung. Sie boten dem Publikum einen Ausgangspunkt, sich mit Fragen über die aktuelle und zukünftige Beziehung zwischen Rechenleistung und körperlicher Erfahrung in der Poetik auseinanderzusetzen.
Sprecher:innen
Asia Bazdyrieva ist Wissenschaftlerin und Autorin mit einem Hintergrund in Kunstgeschichte und analytischer Chemie. Derzeit ist sie assoziiertes Mitglied des Critical Media Lab Basel und wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Medien der Bauhaus-Universität Weimar. Mit ihren Texten und ihrer künstlerischen Forschung trägt sie zur Medientheorie, zur Wissenschafts- und Technologieforschung sowie zur visuellen Kultur bei. In den letzten Jahren lag ihr Fokus auf der Beziehung zwischen soziotechnischen Vorstellungen sowie Körpern und Ländern, die als Ressourcen dargestellt werden. In den Jahren 2018 bis 2022 war Bazdyrieva Mitautorin von Geocinema, einem Dokumentarfilmprojekt, welches die Infrastrukturen für die Erdbeobachtung als koproduzierende Formen des Kinos untersuchte. Geocinema wurde für den Preis der Schering Stiftung für künstlerische Forschung (2020) und den Goldenen Schlüssel beim Kasseler DokFest (2021) nominiert. Bazdyrieva war von 2015 bis 2017 Fulbright-Stipendiatin an der City University of New York (CUNY).
Yevgenia Belorusets ist eine Künstlerin und Autorin, die in Berlin und teilweise Kyjiw lebt und arbeitet. Sie ist Gründerin und Herausgeberin von „Prostory“, einer Zeitschrift für Literatur und Kunst, sowie Mitglied der Kurator:innengruppe „Hudrada“. Sie arbeitet mit Fotografie und anderen Medien an der Schnittstelle von Kunst, Literatur und sozialem Aktivismus. Ihre fotografische Arbeiten lenken die Aufmerksamkeit auf die verletzlichen Bereiche der ukrainischen Gesellschaft – wie queere Familien, arbeitslose Bergarbeiter:innen, Roma sowie Menschen, die im Kriegsgebiet im Osten der Ukraine leben. Ihre Werke wurden im Ukrainischen Pavillon auf der 56. und 59. Venedig-Biennale gezeigt. „Glückliche Fälle“ (2019), ihr erstes literarisches Werk, wurde 2020 mit dem Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt Berlin ausgezeichnet. Für ihre Arbeit an „Anfang des Krieges. Tagebücher aus Kyjiw“ erhielt sie 2022 den Sonderpreis für künstlerische Forschung der Schering Stiftung und den Horst-Bingel-Preis für Literatur. Seit dem 24. Februar 2022 dokumentiert sie die Invasion Russlands in der Ukraine umfassend.
Maxime Garcia Diaz ist eine Dichterin aus Amsterdam. Sie studierte Literatur und Kulturanalyse an der Universität von Amsterdam. Ihre erste Gedichtsammlung „Het is warm in de hivemind“ (De Bezige Bij, 2021) wurde mit dem C. Buddingh‘-Preis 2022 für den besten Debütband ausgezeichnet. 2019 war sie die Gewinnerin der Slam-Poetry-Meisterschaft der Niederlande. Derzeit absolviert sie einen Masterstudiengang in Kreativem Schreiben am renommierten Writers‘ Workshop der Universität von Iowa.
Metahaven ist ein in Amsterdam ansässiges Kunstkollektiv, das in den Bereichen Film, Schreiben und Design arbeitet. Zu Metahavens Filmen gehören „Capture“ (2022), „Chaos Theory“ (2021), „Hometown“ (2018) und „Information Skies“ (2016). Zu ihren Büchern zählen „Digital Tarkovsky“ (2018) und „Uncorporate Identity“ (2010, herausgegeben mit Marina Vishmidt). Ihr neues Buch über die zukünftige Rolle der Betrachter:innen in der Kunst erscheint im Frühjahr 2025 bei Verso. Metahaven präsentierte unter anderem Einzelausstellungen im MoMA PS1 in New York City, im Guggenheim Museum Bilbao, im Institute of Contemporary Arts London, im Stedelijk Museum Amsterdam und im Yerba Buena Center of Arts in San Francisco, im Asakusa in Tokio, im Izolyatsia in Kyjiw, im e-flux in New York City, im Tick Tack in Antwerpen und im State of Concept Athen. Sie nahmen an zahlreichen Gruppenausstellungen z.B. im Artists Space in New York City, im Museum of Modern Art Warschau, im S.A.C. The Arts Centre in Bangkok sowie an der Gwangju Biennale, der Sharjah Biennale und der Busan Biennale teil. Metahaven sind künstlerische Berater an der Rijksakademie, als Forscher beim Thinktank Antikythera angegliedert und leiten den Masterstudiengang Geo-Design an der Design Academy Eindhoven.
Eugene Ostashevsky ist ein englischsprachiger Dichter und Übersetzer, dessen Schriften aufgrund ihres Schwerpunkts auf sprachlichem Facettenreichtum und Selbstbewusstsein als „translingual“ beschrieben werden. Seine „Feeling Sonnets“ (Carcanet und NYRB Poets, 2022) untersuchen, welche Auswirkungen das Sprechen einer fremden Sprache auf Emotionen, Erziehung und Identität hat. In einem früheren Buch, „Der Pirat, der von Pi den Wert nicht kennt“ (2017), werden Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Piraten und Papageien erörtert. Die deutsche Übersetzung von Uljana Wolf und Monika Rink wurde mit dem Internationalen Lyrikpreis der Stadt Münster ausgezeichnet. Als Übersetzer ist Ostashevsky vor allem für seine Ausgaben russischer Avantgardetexte bekannt, darunter „OBERIU: An Anthology of Russian Absurdism“ (Northwestern UP, 2006) und Aleksandr Vvedenskij „An Invitation for Me to Think“ (mit Matvei Yankelevich; NYRB Poets, 2013). Ostashevskys Gedichte und Übersetzungen wurden in „Best American Poetry“ und vielen großen Zeitschriften veröffentlicht und er ist Professor an der New York University.